Das wichtigste Ereignis für die Mainz Athletics war wohl unser Stadionbau. Den wichtigsten sportlichen Moment hatten wir in Regensburg, bei unserem großen Südrivalen und unserem nächsten Gegner, der am Freitag und Samstag am Hartmühlenweg gegen unser Bundesligateam antritt. 1995 spielten die Regensburger erstmals in der Bundesliga. 1996 wären sie mit 5:23 Siegen fast wieder verschwunden; ab 1997 platzierten sie sich als erster Verfolger des Spitzenduos aus Mannheim und Mainz. Und von 2002 an war ein paar Jahre lang fast klar: Entweder Regensburg wird Südmeister – oder wir. Zum großen Showdown kam es 2007. Am 3. Oktober, einem Mittwochnachmittag, kurz vor vier Uhr wurden wir in Regensburg Deutscher Meister. Zugetraut hatte uns das noch eine Woche vorher niemand.
Die reguläre Saison 2007 war ein bisschen holprig. Wir hatten unseren Coach Zeke Mitchem verloren, der nach Solingen zur „besten Mannschaft Deutschlands“ wechselte, um Deutscher Meister zu werden. Nach den großen Ambitionen des Vorjahres wollten wir sowieso erst einmal nur in die Playoffs. Für den neuen Coach Cae Santos begann die Saison aber erst einmal mit drei Splits und einer Doppelniederlage gegen Regensburg. Ein Zwischenspurt in der Rückrunde mit 8:0 Siegen ließ uns dieses Ziel als Tabellenzweiter erreichen; die Legionäre machten uns mit einem starken Doppelsieg in den Nachholspielen nach dem letzten Spieltag jedoch unmissverständlich klar, wer der Chef im Süden ist.
Trotzdem: Playoffs. Das erste Viertelfinalspiel ging in Bonn verloren. Ein 13:1 dort und ein 21:2 hier brachte uns in Führung. Im vierten Spiel verwandelten wir an der tobenden Sandflora einen 0:9-Rückstand in eine 13:10-Führung. Halbfinale. Gegen Solingen und Mitchem. Zuhause gab es einen knappen Doppelsieg gegen die bis dahin fast unschlagbaren Alligators, auswärts folgte einem deutlichen 3:13 ein lockeres 3:0. Zum ersten Mal stehen die Mainz Athletics im Finale.
Der tödliche Kullerball
Und wir müssen uns früh mit dem Gedanken anfreunden, dass das der größte Erfolg unserer Vereinsgeschichte bleiben könnte. Nach zwei Spielen steht es 2:0 für die Legionäre. Das 0:10 in der ersten Partie klingt schlimmer, als es war. Wir sind an Kleinigkeiten gescheitert. Viel ärgerlicher ist das zweite Spiel. Denn in dem lagen wir nach vier Innings 5:0 in Führung, verlieren aber in der Verlängerung 5:6. „Das erste Spiel verloren? Das passiert“, erinnert sich Martin Kipphan. „Regensburg hat den Manu schon öfter verprügelt. Wenn man dann mit 1:1 nach Hause fährt, ist das super. Das zweite war schlimm.“ Mic Weigl trifft den entscheidenden Ball nicht besonders gut. „Ein bisschen zu schnell für Keigo, dass er ihn nicht fangen kann, ein bisschen zu weit für Nils und Max Boldt, ein bisschen zu langsam für Sascha, dass er den Runner nicht mehr kriegt“, erklärt Kipphan. Der Grounder ins Centerfield geht genau in die Lücke zwischen Pitcher Keigo Miyagi, die Infielder Nils Hartkopf und Max Boldt und Centerfielder Sascha Lutz. „Vier Spieler wären da gewesen, die den Ball gekriegt hätten, wenn er ein bisschen schneller oder langsamer oder weiter links oder weiter rechts gewesen wären“, sagt Kipphan. „Die Nachbesprechung im Rightfield hat sich angefühlt, als hätten wir gerade die Meisterschaft verloren. Regensburg hat gefeiert und in diesem Moment die Meisterschaftsringe bestellt.“
Das größte aller Comebacks
Um jetzt noch den Titel zu holen, müssen wir beide Heimspiele gegen die Legionäre und das dann fällige Entscheidungsspiel auf deren Platz gewinnen. Eine Niederlage in diesen drei Spielen und die Saison ist vorbei und Regensburg erstmals Deutscher Meister. Das wäre nicht mal unverdient: Zwischen Legionären und Athletics steht in jener Saison bisher 6:0. „Aber es ist nie vorbei, bis das letzte Aus gemacht ist“, verkündet Cae Santos. Unser Coach verliert auch in dieser kniffligen Lage seinen Optimismus nicht vollends. Santos weiß aber: Noch nie hat eine Mannschaft die Playoff-Finalserie nach zwei Niederlagen in den ersten zwei Spielen gewonnen.
„Wir hatten nichts zu verlieren“, sagt Kipphan. „Wir konnten ganz entspannt in die Spiele in Mainz gehen. Der Vorstand wollte uns zeigen, dass er trotzdem stolz auf uns ist und hat T-Shirts bestellt, auf denen eben nicht Deutscher Meister oder Deutscher Vizemeister steht, sondern Deutsches Baseballfinale. Wir hatten einfach eine besondere Saison gespielt.“
Unser Team schafft das Comeback. An der Sandflora bieten sie ihrem Publikum ein tolles drittes Spiel. Die Legionäre gehen zwar sofort 1:0 in Führung, haben aber von da an gar keine Chance mehr. Unter anderem mit zwei Homeruns (Sascha Lutz, drei Punkte; Martin Kipphan, zwei Punkte) legen wir bis ins achte Inning ein 9:1 vor. „Und wir fragen uns: Warum eigentlich nicht?“ erinnert sich Kipphan.
Aber einfach so bricht alles zusammen. Es mag simpel klingen, einen Acht-Punkte-Vorsprung über die letzten drei Aus zu bringen, aber uns gelingt es nicht. Nils Hartkopf pitcht mittlerweile und wirft einen Walk nach dem anderen. Florian Arnold übernimmt und macht weiter. Permanent sind alle Bases besetzt, die Regensburger schlagen überhaupt nicht, stehen nur an der Platte und sehen zu, wie die Bälle links und rechts vorbei fliegen. Die Führung ist weg. „Ein Alptraum“, sagt Cae Santos.
Und Regensburg verschenkt die Führung und möglicherweise die Meisterschaft durch einen dummen Fehler. „Aus dem Inning sind wir rausgekommen, weil der Coach gedacht hat, dass er stealen muss“, erinnert sich Kipphan. „Wir dachten: Warum rennst Du überhaupt? Wir können die ganze Zeit an der Platte kein Aus holen, da gibt man dem Gegner doch keine Möglichkeit, es woanders zu machen! Aber schwups, lässt er seinen Spieler rennen und er ist aus.“
In der Verlängerung sind wir wieder stabil. Dafür fängt Regensburg an, die Bases herzuschenken. Bei zwei Aus und Bases loaded ballert unser Infielder Flavio Rinaldi schließlich den Ball aufs Softballfeld. Erst lange nach dem Spiel stellt sich heraus, dass es gar nicht der vermeintliche Grand Slam Homerun zum 13:9 war, sondern der Ball vor dem niedrigen Zaun schon aufgesprungen ist. Egal. 10:9 reicht.
Auch das vierte Spiel beginnt mit einem 1:0 für Regensburg. Mit einem 3:1-Sieg retten wir uns ins Entscheidungsspiel. „Wir dachten: Wir haben das erste Spiel gewonnen, hätten es sogar deutlich gewonnen, wenn nicht diese Katastrophe auf dem Mound passiert wäre. Wir haben das zweite gewonnen, wir hatten dort das zweite nur mit Pech verloren. Also nochmal: Warum eigentlich nicht auch das fünfte gewinnen?“
Noch nie hat eine Mannschaft die Playoff-Finalserie nach zwei Auftaktniederlagen drehen können. Nie hat in der Major League, wo vier Siege benötigt werden, ein Team ein 0:3 aufgeholt, bis die Boston Red Sox sich 2004 nach drei Niederlagen gegen die New York Yankees durchsetzten. Das wollen die A’s nun nachmachen.
Nils Hartkopf, der 2006 schon mit Solingen den Titel gewonnen hat, wird angriffslustig: „Der Druck wird auf jeden Fall noch krasser als in den letzten beiden Spielen. Für die Legionäre wird es aber härter als für uns, weil sie immer noch Favorit sind. Vor dem letzten Wochenende standen wir mit dem Rücken zur Wand, jetzt sie. Ich glaube sehr stark daran, dass wir das schaffen.“ Soweit es die 19 Innings vom Wochenende zulassen, ist die Mannschaft in gutem Zustand. „Eine Menge Muskelkater, aber den haben die Regensburger auch“, sagt Cae Santos. „Das Wochenende merkt man schon“, stimmt Hartkopf zu. „Aber ein Endspurt ist noch drin.“ Und auch in diesem Bereich sieht der Mainzer die Legionäre in der unangenehmeren Lage: „Durch die lange Rückfahrt sind die jetzt wohl richtig fertig!“
Vor 1.400 Zuschauern passiert in der Regensburger Armin-Wolf-Arena sechs Innings lang gar nichts. Manuel Möller lässt die Legionäre in einem der größten Spiele seiner Karriere überhaupt nicht ins Spiel, aber auch unseren Angreifern gelingt zunächst wenig. Im siebten Inning erst nutzen wir mehrere Abwehrfehler zur 3:0-Führung. Die Regensburger reagieren wütend. Sie prügeln die Bälle bis weit an den Zaun und wir können froh sein, ein Auswärtsspiel zu haben. Im kurzen Leftfield der Sandflora wären das Homeruns. Auf dem größeren Regensburger Platz ist Ulli Wermuth zur Stelle. Im achten Inning verkürzen die Legionäre mit ihren ersten Hits des Tages auf 3:2. Im neunten erhöhen Wermuth, Sascha Lutz und Mike Larson auf 6:2. Wir lassen einen weiteren Run zu. Keigo Miyagi, der Held der Playoffs, wird nervös, fahrig, macht plötzlich Fehler. Aber dann misslingt der letzte Schlag der Legionäre. Nils Hartkopf hat den Ball. Wirft ihn an die erste Base zu Martin Kipphan. Der fängt ihn. „In so einer Situation will man unbedingt das letzte Aus machen, aber man will auf keinen Fall, dass der Ball zu einem kommt“, erinnert sich Kipphan. „Dann hat der Nils auf einmal den Ball in der Hand und wirft ihn mit angezogener Handbremse, feuert ihn mir vor die Füße, in den Boden. Er war auch unglücklich, dass auf ihn geschlagen wurde, aber gleichzeitig happy, dass er das Aus gemacht hat.“ Denn in diesem Moment sind wir Deutscher Baseballmeister. Der Jubel der Spieler und der vielen mitgereisten Fans ist riesengroß.
Am Ziel
„Uns war sofort klar: Wir sind Deutscher Meister“, erinnert sich Kipphan, „Wie fühlt sich das an? Unbeschreiblich. Ich habe irgendwann dem Klaus Wolf in den Armen gelegen und geflennt. Wir könnten jetzt den Duden rausholen und Adjektive suchen, aber es ist schwer zu beschreiben.“
Im Moment ihrer größten Niederlage erweisen sich die Regensburger als gute Gastgeber. „Sie sind ja zu Recht so unglaublich stolz auf ihren Platz“, sagt Kipphan. „Und auf einmal feiern da hundert wildfremde Leute – aber man muss ihnen lassen: Sie haben es uns erlaubt. Ich hätte mich an ihrer Stelle schon aufgeregt, aber wäre wahrscheinlich nicht zu denen und hätte sie vom Platz gejagt. Das haben sie auch nicht gemacht.“
Bei zwei alten Helden ist ein bisschen Wehmut dabei. Für Janusz Radicke und Ulli Wermuth war es das letzte Spiel der Karriere. „Mit dem Titel kann man gut leben“, sagt Radicke. Und Wermuth ergänzt: „Wenn man schon aufhören muss, dann so.“
Dem scheidenden Kapitän gönnen es die Spieler am meisten: „Janusz war ja immer dabei“, sagt Kipphan. „Es hieß immer: Dieses Jahr werden wir Meister – Aus im Halbfinale. Dieses Jahr werden wir Meister – Aus im Viertelfinale. Dieses Jahr werden wir Meister, wir haben den besten Trainer im Land – Bumm, Trainer weg, Aus im Halbfinale. Janusz hat so viele furchtbare Momente mitgemacht. Ich habe in den Finalspielen oft an ihn gedacht. Er hat es verdient, dass er in seinem letzten Jahr die Meisterschaft wirklich gewinnt.“
Die Legionäre erholen sich von diesem Schock. Von da an werden sie (abgesehen von der Saison 2009) jedes Jahr Deutscher Meister. cka
Die Bilanz der A’s gegen die Regensburg Legionäre:
91 Spiele, 42 Siege, 49 Niederlagen.
In Mainz:
44 Spiele, 23 Siege, 21 Niederlagen.
In Regensburg:
47 Spiele, 19 Siege, 28 Niederlagen.
Die ersten Begegnungen:
6:10, 6:3, 20:12, 7:11 (1995).
Die bisher letzten Begegnungen:
0:5, 6:1, 1:8, 0:7 (2013).
Der erste Sieg:
6:3 (1995).
Der höchste Sieg:
17:6 (2000).
Die höchste Niederlage:
1:13 (2008).