Zusammenfassung
Eigentlich war’s am Samstag nach viereinhalb, fünfeinhalb, sechseinhalb Innings vorbei. Da führten die Legionäre 7:2, 10:2, 11:3, war der schöne Sieg vom Vorabend nichts mehr wert, war mit voraussichtlich vier Punkten Rückstand der Halbfinal-Traum zu Ende. Und – zu diesem Zeitpunkt – verdient zu Ende. Denn es wollte einfach nichts gelingen. Der gute Wille war zu sehen, die Motivation, alles war da, aber es blieb Theorie, es ließ sich nicht in die Praxis umsetzen, ließ sich nicht auf den Platz bringen. Die Schläge kamen direkt auf die Verteidiger, die Wege zur Base waren immer zu weit, und weil auch Connor Little nicht seinen besten Tag hatte, hatte Regensburg ein leichtes Spiel.
Umso schwieriger ist es nun zu ergründen, was da passiert ist, um das größte Comeback des Jahres einzuleiten, vielleicht das größte Comeback, das der Hartmühlenweg je erlebt hat. War’s schon der Homerun von Max Boldt zum 3:10? War’s Shane Salley, der nach dem 3:11 die siebte Offensivphase mit einem Double einleitete? War’s am Ende die 10th Inning Crew, die von ihrem Stammplatz oben hinter der Homeplate auf die alte Sandflora-Tribüne neben dem Rightfield umzog, weil es für Rally Cap zu früh war, und aus ganz ungewohntem Winkel Stimmung machte?
Salleys Double schien wirkungslos zu verpuffen. Victor Voll schlug ins Flyout, zu nah am Infield, um den Runner weiterzubringen. Timmy Kotowski schob Salley zwar auf die dritte Base, ging aber selbst ebenfalls aus. Aber irgendetwas lebte noch in der Mannschaft, irgendetwas war da, und wenn’s nur das Bedürfnis war, seriös weiterzuspielen. Martin Kipphan kam an den Schlag, schaffte ein RBI-Single. Lennard Stöcklin kam an den Schlag, schaffte einen weiteren Basehit. Peter Johannessen kam an den Schlag und feuerte den Ball aus dem Stadion. 7:11, „und das passt eher zum Spiel“, dachten wir.
Denn 2:10, 3:11 war viel zu hoch. Die Legionäre waren besser als wir, aber nicht acht Runs besser, effizienter, aber durchaus auch glücklicher. So hätte uns Salley mit einem intakten Schläger wohl schon im ersten Inning in Führung gebracht; der Schlägerbruch nahm dem Schlag durchs Infield die Wucht. So hatte, nachdem Martin Kipphan im zweiten Durchgang mit einem Homerun über das Leftfield noch das frische 0:2 ausgeglichen, Regensburg aber im dritten Inning zwei Runs draufgelegt hatte, Max Boldt das 5:4 um vielleicht zwanzig Zentimeter verpasst. Der Centerfielder der Legionäre machte das Flyout mit dem Rücken am Zaun. Immer wieder waren es knappe Situationen, in denen Regensburg die Führung ausbaute und verteidigte.Damit wollte sich unser Team nicht abfinden, es wollte die Niederlage nicht hinnehmen, nicht kapitulieren. „Wir wollen ins Halbfinale“, stellte Stöcklin klar, „und das geht nicht, wenn man aufgibt.“ Und das mag albern klingen, wenn man im Schlüsselspiel 3:11 zurückliegt, aber die Spieler zeigten, was es bedeutet. Sie blieben ruhig, sie spielten konzentriert, spielten engagiert, spielten seriös weiter. Allen voran der junge, immer selbstbewusster spielende Victor Voll und der erfahrene Routinier Martin Kipphan, die beiden positiven Erscheinungen in der schlechten ersten Spielhälfte, aber auch der von allem Unglück unbeeindruckte Kämpfer und Arbeiter Shane Salley rissen die Kollegen mit, zogen ihr Team nicht aus der Lethargie, denn lethargisch war’s nicht, sondern aus dem Sumpf, aus dem Strudel. 7:11 passte besser und war noch nicht das Ende des Innings; nach einem Double von Austin Gallagher schaffte Max Boldt noch das 8:11. Und die Aufholjagd war in vollem Gang.
Die Defensive hinter dem bereits nach sechs Innings eingewechselten Yannic Wildenhain gab im folgenden Inning nichts her. Voll machte die Plays an der zweiten Base und eröffnete unseren vorletzten Offensiv-Durchgang mit einem Single. Der Regensburger Reliever Daniel Mendelsohn, eingewechselt erst nach unserem achten Run, schaffte zwei Strikeouts, aber bekam das Inning nicht mehr zu. Lennard Stöcklin schlug seinen zweiten Basehit – und Peter Johannessen seinen zweiten Drei-Punkte-Homerun. Der Ausgleich!
„Wir haben das Spiel nicht als verloren angesehen“, verriet Boldt. „Wir haben ja oft in den späten Innings aufgedreht, darum haben wir weiter daran geglaubt, das drehen zu könenn. Wir wissen, dass wir auch gegen sehr gutes Pitching viele Punkte machen. Im Baseball gibt es keine Zeitbegrenzung, da kann man die Uhr nicht einfach runterspielen, sondern muss die Aus machen. Da kann man so einen Rückstand aufholen.“
Und, wenn es sein muss, auch mal einen Rückschlag einstecken wie den im neunten Inning, in dem die Regensburger wieder in Führung gingen, 13:11. Aller Aufwand umsonst? Doch eine Niederlage? „Das hat sich nicht verhindern lassen“, räumte Boldt ein. „Aber Austin hat das neunte direkt perfekt angefangen“, mit einem gewaltigen Solo-Homerun zum 12:13. „Das war der Moment, der das entscheidet“, sagte Boldt. „Wir waren immer noch hinten, aber hatten die Angreifer vier bis sechs am Schlag und haben nur noch einen Punkt für den Ausgleich gebraucht. Durch den Homerun“ – es war unser fünfter an diesem Nachmittag – „ist das Momentum auf unsere Seite geshiftet, war der Gegner eingeschüchtert. Der war extrem wichtig.“
Im Infield machten die Regensburger jetzt Fehler, ließen zwei Mann ohne Not auf die Bases. Einen fingen sie anschließend ab, aber durch den Walk für Timmy Kotowski waren bei einem Aus alle Bases besetzt. Martin Kipphan war am Schlag, hatte schon drei Hits für sechs Bases geschafft, schlug nun den RBI zu Kevin Kotowskis Ausgleich. Und Lennard Stöcklin, ausgerechnet Lennard Stöcklin, der große Matchwinner des Vorabends, kam an die Reihe. „Ich wusste, dass der Pitcher irgendwann in die Strikezone werfen muss“, berichtete Stöcklin von seinem letzten At Bat. „Die Bases waren ja loaded“, ein Walk wäre die sofortige Niederlage gewesen. „Zwei Balls habe ich mir angeschaut“, sagte der Angreifer, „locker, nicht zu verkrampft. Einfach gemacht.“ Dann kam der Ball in die Zone. „Ich habe getroffen, und mir war sofort klar, dass das der Sieg ist“, erklärte Stöcklin. „Das Outfield war weit drin, es musste ja das Aus an Home machen.“ Ein Flyout hätte schließlich nicht gereicht. „Ich habe getroffen und gewusst, dass der Ball über den Centerfielder geht.“ Nicht mal als einziger – auch der Regensburger Catcher wartete gar nicht ab, was im Outfield noch passierte, drehte sich einfach um, ging ins Dugout. Draußen versuchten die Regensburger das Play gar nicht mehr, rannten sie dem Ball gar nicht mehr ernsthaft nach, mussten sie ansehen, wie ganz Mainz ins rechte Infield zu Stöcklin stürmte, der den Schlusspunkt zum großen Comebacks gesetzt hatte.
Stöcklin selbst wollte von Heldenverehrung gar nicht viel wissen: „Ich war das ja nicht alleine. Es war eine Teamleistung. Peter hat im siebten und achten die Homeruns gehauen, alle Jungs waren auf Base, alle haben ihre RBIs gemacht, den großen Rückstand haben wir zusammen aufgeholt.“ Und auch „Teamleistung“ geht nicht weit genug. Es war eine Vereinsleistung, die auf dem Platz und im Dugout begann, zu der aber auch die Spielermütter an der Kuchentheke beitrugen, zu der der Präsident mit seiner ansteckenden, unerschütterlichen Zuversicht beitrug, zu der die Tenth Inning Crew mit ihrem Ortswechsel beitrug.
Und eine Leistung, die sogar das erstklassige Spiel vom Vortag in den Schatten stellte. Text und Fotos: cka